NAKAI Sanayuki
Neue Beiträge zur Germanistik, (138) 123-138, Mar 25, 2009 Peer-reviewed
Einleitung Goethe hat den Begriff des Damonischen gebildet, als er die Erscheinungen bemerkte, die die Sittlichkeit Gottes in Frage stellten. Obwohl er sich schon fruh solcher damonischen Erscheinungen bewusst war, beginnt Goethe erst um 1805 dieses Phanomen begrifflich zu erortern. Im Gesprach mit Carl Ernst Hagen in Nienburg unterschied er das Damonische von Gott als dem "sittlich vollkommensten Wesen". Kurz vor diesem Gesprach hatte Friedrich Heinrich Jacobi Goethe in Weimar besucht und die Identitatsphilosophie Schellings aus dem sittlichen Grund, den er einst gegen den Pantheismus von Spinoza angefuhrt hatte, kritisiert. Nachdem der Streit zwischen Schelling und Jacobi begonnen hatte, beschrieb Goethe im Brief vom 6. 1. 1813 seine komplexe Gottesvorstellung. Als Dichter und Kunstler sei er Polytheist, als Naturforscher Pantheist. Wenn er als sittlicher Mensch eines Gottes bedurfe, sei dafur auch gesorgt. Diese Arbeit expliziert, wie Goethe das Damonische aus dieser komplexen Gottesvorstellung herausarbeitet. Zuerst werden die Deutungen des Damonischen von Hans Blumenberg und Peter Hofmann, die einen ahnlichen Ansatz zeigen, kritisch aufgearbeitet. Dann wird durch die Interpretation der "Wahlverwandtschaften" gezeigt, welche Bedeutung dem Damonischen in der Problematik des Gottlichen zugewiesen ist. 1 Nach der ersten Thematisierung des Damonischen sind dessen Spuren im Gedicht "Machtiges Uberraschen" (1807) und dem Festspiel "Pandora" (1807/8) zu erkennen. Zu dieser Zeit erwahnt Goethe den Spruch "Nihil contra Deum nisi Deus ipse", der als Vorlaufer des Spruchs in "Dichtung und Wahrheit" zu betrachten ist, mit dem Goethe die machtige Wirkung des damonischen Menschen zum Ausdruck bringt: "Nemo contra deum nisi deus ipse." Er aussert auch folgende Bemerkungen, die als Kommentar zum Spruch aufzufassen sind. "Ein Gott kann nur wieder durch einen Gott balanciert werden. (…) Das Ganze, welches sich spezifiziert, schrankt sich eben dadurch selbst ein, aber nicht das Einzelne sich." Hans Blumenberg sieht darin das polytheistische Prinzip der "Gewaltenteilung" und ihre pantheistische Versohnung. Er betrachtet diese Denkform, in der Annahme, dass Goethe in Napoleon das personifizierte Damonische erkannte, als Ergebnis der Auseinandersetzung Goethes mit dem franzosischen Kaiser. Goethe habe auf seine vorige asthetische, selbstmachtige Lebenshaltung verzichten mussen, die er in "Prometheus" dargestellt habe. Er habe diese Identitatskrise durch den Gedanken der "Balance" uberwunden, der sich erst durch die "Verbindung von Polytheismus und Pantheismus" eingestellt habe. Blumenberg beschrankt sich in seiner Darstellung auf das Damonische in Napoleon und ubersieht, dass es fur Goethe uberall in der Natur gegenwartig ist. Er hat auch das "Unfassliche" und "Ungeheure" dieses Wesens allzu sehr in dem versohnten Weltbild des sogenannten "Pantheismus mit verteilten Rollen" aufgelost. 2 In seiner Schrift "Uber das Wesen der menschlichen Freiheit" (1809) hat Schelling in dem Versuch, die Realitat der einzelnen Dinge und die Freiheit des Menschen zu erklaren, "Gott, (…) sofern er existiert", und "den Grund seiner Existenz", d.h. das, "was in Gott selbst nicht Er selbst ist", unterschieden. Indem der "bewusste, intelligente" Gott auf den "Grund", aus dem er selbst geboren ist, wirkt, entwickeln sich stufenweise die einzelnen Wesen und zuletzt der Mensch als das geistige Wesen, das die Freiheit zum Guten und zum Bosen hat. Im Zusammenhang mit dieser theosophischen Kosmogonie, die den Pantheismus mit dem personlichen Gott des Theismus zu versohnen trachtet, deutet Peter Hofmann das Damonische bei Goethe. Das Damonische sei "Negation in Gott", "die dem chaotischen Urgrund Gottes entspringt und auch das Werden der Natur zum Menschen hin begleitet, um dann in ihm als Freiheit zum Bosen zu sich zu kommen." Im Gedicht "Urworte. Orphisch" (1817) erkennt Hofmann Goethes Forderung, den "damonischen Urgrund im Menschen (…) in die sittliche Freiheit zu integrieren und in ihr aufzuheben." So habe Goethe fur das Problem des Damonischen, das in der Naturforschung (Pantheismus) unlosbar sei, eine sittliche Losung gefunden. Es ist aber nicht festzustellen, ob Goethe das Damonische so spekulativ aufgefasst hat, wie Hofmann es darstellt. Hofmann identifiziert den "Damon" im Sinne von "Individualitat der Person" in dem Gedicht ohne weiteres mit dem Damonischen. Aber es gilt, die beiden zu unterscheiden. Das erstere ist "notwendig", gesetzmassig, das Bleibende im Menschen und wird im Gedicht zu dem "Zufalligen" in Kontrast gestellt, wahrend sich das letztere "mit einem Male", ohne "Folge" von aussen in das Leben und Schicksal des Menschen einmische und eher "dem Zufall" gleiche. 3 In den "Wahlverwandtschaften" (1809) wird die sittliche Problematik des Pantheismus thematisch. Der Roman stellt dar, wie die Figuren unter der Wirkung der "nur einen Natur" allmahlich ihre "Vernunftfreiheit" verlieren. Dieser Vorgang wird mit dem Problem des "Bewusstlosen", das Jacobi in Bezug auf den Spinozismus Schellings thematisierte, in Zusammenhang gestellt. Gegen die Warnung Charlottes: "Das Bewusstsein (…) ist keine hinlangliche Waffe" erliegen fast alle Figuren der Wirkung der Wahlverwandtschaften, die ihr Bewusstsein unterlauft. Uber Eduard und Ottilie sagt der Erzahler: "Nach wie vor ubten sie eine unbeschreibliche, fast magische Anziehungskraft gegeneinander aus. (…) Dann waren es nicht zwei Menschen, es war nur Ein Mensch im bewusstlosen, vollkommnen Behagen." Dies ist als Ergebnis, das sich notwendig aus der "Natur (…), Charakter, Individualitat" entwickelt, dargestellt. Ottilie allein wehrt sich dagegen nach dem Gebot des "Gewissens." Sie deutet in ihrem Tagebuch eine von der pantheistischen unterschiedene Gottheit an, die in der "guten Tat" des Menschen als "Gleichnis" zu erkennen sei. So hat Goethe auf die sittliche Frage, die der Pantheismus aufwirft, seine Antwort gegeben. Aber im Roman ist in Ottiliens Wort "ein feindseliger Damon" auch die Spur des Damonischen zu erkennen, das seinerseits ein sittliches Problem darstellt. Welche Rolle ist ihm zugewiesen? Aus Goethes Verhalten gegen die Erbsunde (Herrnhuter), das "Radicalbose" (Kant) und die Gott verbergende Natur (Jacobi) ist zu erkennen, dass es ihm unertraglich war, die negative Seite der Natur zu betonen, die trotz ihrer sittlichen Indifferenz "gottlich" sei. Auf das Damonische, das die Menschen aus "der moralischen Weltordnung", die bei Goethe mit dem Willen Gottes gleichgesetzt ist, entferne, wird das widersittliche Verhalten der Figuren zuruckgefuhrt. Schluss Das Damonische ist fur Goethe sowohl aus dem Gesichtspunkt des Naturforschers (Pantheismus), als auch aus dem des sittlichen Menschen (Theismus) nicht zu erfassen. Als Dichter fluchtete er sich vor "diesem furchtbaren Wesen (…) hinter ein Bild." Dies ist im polytheistischen Weltbild von "Pandora" (1807/8) und "Des Epimenides Erwachen" (1814) dokumentiert.